Ludwik Fleck
*1908/08/18 @ UK - Lemberg/Lwiw
†1961/06/05 @ IL - Nes Ziona
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« ... das Postulat vom Maximum der Erfahrung »
« Das Wissen war zu allen Zeiten für die Ansichten jeweiliger Teilnehmer systemfähig, bewiesen, anwendbar, evident.
Alle fremden Systeme waren für sie widersprechend, unbewiesen, nicht anwendbar, phantastisch oder mystisch.
Wäre es nicht an der Zeit, einen weniger egozentrischen, allgemeineren Standpunkt einzunehmen und von vergleichender Erkenntnistheorie zu sprechen?
... Man muß ... die wirkenden denksozialen Kräfte aufdecken. »
« Zwischen den Auffassungen und ihren Beweisen besteht in der Wissensgeschichte kein formal-logisches Verhältnis: die Beweise richten sich ebenso oft nach den Auffassungen,
wie umgekehrt die Auffassungen nach den Beweisen. ... Eine der vornehmsten Aufgaben vergleichender Erkenntnistheorie wäre zu forschen,
wie sie sich, dank einer Art Harmonie der Täuschung als beharrende, starre Gebilde erhalten. »
« Eine einmal veröffentlichte Aussage gehört jedenfalls zu den sozialen Mächten, die Begriffe bilden und Denkgewöhnungen schaffen;
sie bestimmt gemeinsam mit allen anderen Aussagen, was man »anders nicht denken kann«. Auch wenn sie bekämpft wird, wächst man mit ihrer Problematik auf, die innerhalb der Gesellschaft kreisend,
zur sozialen Verstärkung gelangt. Sie wird selbstverständliche Realität, die dann ihrerseits weitere Erkenntnisakte bedingt. Es entsteht so ein geschlossenes, harmonisches System,
innerhalb dessen der logische Ursprung einzelner Elemente nicht mehr aufzufinden ist. ... nie wird eine Zukunft von der Vergangenheit — normal oder anormal — vollkommen frei,
ausgenommen sie bricht mit ihr aus eigenen Gesetzen ihrer besonderen Denkstruktur. »
« Das Individuum hat nie, oder fast nie das Bewußtsein des kollektiven Denkstiles, der fast immer einen unbedingten Zwang auf sein Denken ausübt und gegen den ein Widerspruch einfach undenkbar ist. »
« Schon in dem Aufbau der Sprache liegt eine zwingende Philosophie der Gemeinschaft, schon im einzelnen Worte sind verwickelte Theorien gegeben. ...
Jede Erkenntnistheorie, die diese soziologische Bedingtheit allen Erkennens nicht grundsätzlich und einzelhaft ins Kalkül stellt, ist Spielerei.
Wer aber die soziale Bedingtheit für ein malum necessarium, für eine leider existierende menschliche Unzulänglichkeit ansieht, die zu bekämpfen Pflicht ist, verkennt,
daß ohne soziale Bedingtheit überhaupt kein Erkennen möglich sei ... »
« Ich halte das Postulat vom Maximum der Erfahrung für das oberste Gesetz wissenschaftlichen Denkens. »
Ludwik Fleck
Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache
Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv
(Suhrkamp 1980 ff., textidentisch mit der 1935 bei Benno Schwabe & Co. erschienenen Erstausgabe)
Auszug